Praxisbeispiel
"Ein Tag, der alles veränderte" – Interview des Magazins Faktor A der Bundesagentur für Arbeit

Kurzbeschreibung:

Ein Interview des Magazins Faktor A der Bundesagentur für Arbeit zur beruflichen Teilhabe nach Erkrankung in der Ausbildung mit dem betroffenen Dariean Bahr und dessen arbeitgebendem Unternehmen bzw. dem General Manager der DACHSER SE.

Inhalte des Gesprächs sind die Themenbereiche:
  • Ursache der Erkrankung und Angewiesenheit auf den Rollstuhl
  • Abschluss der Ausbildung zum Fachlageristen trotz Beeinträchtigungen
  • Suche nach Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung mit Umschulung im Bürobereich
  • Unterstützung durch das Unternehmen und die Agentur für Arbeit
  • Erfahrungen des Unternehmens bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen
  • Barrierefreie Anpassung von Arbeitsplatz und Arbeitsumfeld für den Mitarbeiter
  • Zurücklegung des Arbeitsweges
  • Aktuelle Situation des Mitarbeiters in Bezug auf Aufgaben, Miteinander im Team und Fortbildung
  • Besondere, dazugewonnene Kompetenzen des Mitarbeiters für das Unternehmen
  • Weiteres Potential für Verbesserungen
  • Kosten, Förderung und Unterstützung
  • Gründe für eine Chance und Vorteile sowie Potentiale zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen
  • Größte Schwierigkeit und Hürde zur beruflichen Teilhabe des Mitarbeiters im Unternehmen
  • Tipps für andere Unternehmen

Schlagworte und weitere Informationen

Ein Interview des Magazins Faktor A der Bundesagentur für Arbeit zur beruflichen Teilhabe nach Erkrankung in der Ausbildung mit dem betroffenen Dariean Bahr und dessen arbeitgebendem Unternehmen bzw. dem General Manager der DACHSER SE.

Der Arbeitnehmer – Dariean Bahr

Das Schicksal ist ein mieser Verräter – so könnte die Unterschrift unter Dariean Bahrs Lebensweg lauten. Nach einem Schicksalsschlag sitzt der junge Familienvater im Rollstuhl, sein beruflicher Traum vom Fachlageristen zerstört. Doch Bahr macht einfach weiter. Nach einer Reha-Maßnahme steht er wieder mitten im Leben. An seiner Seite: Sein Arbeitgeber, das Logistikunternehmen DACHSER SE in Neumünster. Mit Hilfe der Agentur für Arbeit und vieler anderer Unterstützer*innen setzt sein Niederlassungsleiter, Jan-Ferdinand Lühmann, alle Hebel in Bewegung, um ihn zu halten.

Faktor A:

Was führte dazu, dass sie plötzlich im Rollstuhl saßen?

Dariean Bahr:

Ich habe mich fertig gemacht wie jeden Morgen. Ich musste etwas im Krankenhaus abholen und fuhr mit meinem Mofa dort hin. Da war auch noch alles in Ordnung. Erst danach nahm das Ganze seinen Lauf… Ich ging zu meinem Roller zurück und bemerkte schon ein leichtes Kribbeln in den Beinen. Als ich mich auf den Roller setzte, bekam ich einen stechenden Schmerz im Rücken. Dieser verschwand recht schnell wieder und ich fuhr los. Das Kribbeln in den Beinen wurde dann aber immer stärker, sodass ich meinen Roller neben einer Bank anhalten musste, weil nichts mehr ging. Mir gelang es noch, ihn auf den Ständer abzustellen und mich auf die Bank zu setzen. Dort verschwand dann das Gefühl in den Beinen. Hinterher kam heraus, dass es ein Rückenmarksinfarkt war.

Faktor A:

Sie haben am 25.01.2023 trotz allem Ihre praktische Abschlussprüfung geschafft. Fand diese unter besonderen Bedingungen statt? Wie ist Ihnen das gelungen?

Dariean Bahr:

Natürlich fand diese unter besonderen Umständen statt, da ich ja nur beschränkt etwas machen konnte. Die IHK ist wirklich gut auf meine Umstände eingegangen.

Faktor A:

Sie sind vom Lager ins Büro gewechselt. Wer hatte die Idee?

Dariean Bahr:

Noch während ich auf Reha war, haben Herr Lühmann und ich uns überlegt, wie ich in meinen erlernten Job zurückkehren kann. Wir sind alle Möglichkeiten durchgegangen.
Die erste Prüfung bestand in Gesprächen mit diversen Herstellern von Flurförderzeugen, um die Rückkehr mit einem umgebauten Gerät ins Lager zu finden. Aus technischen Gründen und wegen der Arbeitssicherheit ist das aber leider nicht möglich.
Er hat mir dann den internen Wechsel ins Büro angeboten. Dazu haben wir dann mit den zuständigen Stellen um Arbeitsagentur und Integrationsfachdienst (IfD) einen Plan ausgearbeitet, wie ich zu einem kaufmännischen Mitarbeiter umgeschult werden kann.

Faktor A:

Wie haben Sie in Ihre neue Tätigkeit hineingefunden? Was macht Ihnen besonders Freude?

Dariean Bahr:

Die Umstellung war gewiss nicht leicht. Ich habe aber wunderbare Kollegen, die mir zur Seite standen und es noch tun, genauso meine Vorgesetzten. Besondere Freude bereitet mir die humorvolle Zusammenarbeit, auch mit unseren Fahrern.

Faktor A:

Wie haben Ihr Arbeitgeber und die Agentur für Arbeit Sie dabei unterstützt, dass Sie einen Arbeitsplatz mit barrierefreien Rahmenbedingungen erhalten?

Dariean Bahr:

Mein Arbeitgeber hat alle Stellen an einen Tisch gebracht, die nötig waren, um einen Umbau des Bürokomplexes zu realisieren. Außerdem hat er Angebote eingeholt und bei der Agentur für Arbeit eingereicht. Sie hat die für den Büroumbau erforderlichen finanziellen Mittel bereitgestellt. Auch hat sie mir geholfen, dabei unabhängig vom ÖPNV zu sein, indem ein Führerschein und behindertengerechtes Auto gefördert wurden. Ich für meinen Teil brauchte nur die nötigen Anträge ausfüllen und entsprechende Angebote einreichen, wobei mir auch der IfD geholfen hat.

Faktor A:

Mit welchen Herausforderungen kämpfen Sie noch im Arbeitsalltag? Benötigen Sie eine Betreuungsperson bzw. Arbeitsassistenz oder schaffen Sie alles allein?

Dariean Bahr:

Im Grunde schaffe ich alles – und darauf bin ich stolz – allein. Wenn ich mal etwas ratlos bin, habe ich tolle Kollegen, die mir helfen. Ich werde auf eigenen Wunsch nicht wie ein rohes Ei behandelt, sondern wie ein „normaler“ Kollege.

Faktor A:

Was raten Sie anderen Menschen mit Behinderungen für eine berufliche Teilhabe?

Dariean Bahr:

Niemals aufgeben! Es gibt immer Mittel und Wege, seine Ziele zu erreichen, auch wenn es aussichtslos erscheint.

Faktor A:

Und was müsste sich noch tun, um die berufliche Inklusion nachhaltig zu verbessern?

Dariean Bahr:

Es müssten viel mehr Firmen nachziehen, bauliche Barrierefreiheit herstellen und Menschen mit Einschränkungen einfach eine Chance geben.

Der Arbeitgeber – Firma Dachser

Faktor A:

Warum war es Ihnen so wichtig, Herrn Bahr zu halten? Warum wollten Sie einen behindertengerechten Arbeitsplatz schaffen?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Herr Bahr hat bei uns seine Ausbildung zum Fachlageristen absolviert. Zudem war er unser erster Auszubildender am Standort in Neumünster. Während seiner Ausbildung hat er sich durch großes Engagement und eine sehr gute Arbeitsleistung hervorgetan. Ursprünglich war für Herrn Bahr nach seiner Ausbildung ein Karriereweg bei uns im Umschlaglager geplant. Als ihn dann kurz vor seinem Ausbildungsende dieser gesundheitliche Schicksalsschlag traf, war für uns klar, dass wir ihm trotzdem eine berufliche Zukunft bei uns ermöglichen wollen. Aufgrund unsere Unternehmenswerte, unserer sozialen Verantwortung und unserer Inklusionsphilosophie war dieser Weg für uns selbstverständlich

Faktor A:

Hatte Ihre Firma bereits vorher Erfahrung mit Menschen mit Behinderungen?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Ja, die hatten wir – auch dank unserer Schwerbehindertenvertretung und unserem Inklusionsbeauftragten. Allerdings war dieser Fall dahingehend neu und eine Herausforderung, weil wir bisher keinen Rollstuhlfahrer im Betrieb beschäftigt hatten.

Faktor A:

Wie erleben Sie Herrn Bahr seit der Umstellung heute in Ihrer Firma?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Er hat sich sehr gut in seiner neuen Aufgabe im Büro eingelebt. Er ist ein fester und geschätzter Bestandteil unseres Teams. Notwendige Schulungsmaßnahmen nimmt er sehr gewissenhaft wahr.

Faktor A:

Wie haben die Kolleg*innen reagiert? Was hat sich verändert?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Alle waren tief betroffen. Einige haben ihn sogar im Krankenhaus besucht, viele Kontakt zu ihm in dieser schweren Zeit gehalten. Seit seiner Rückkehr an seinen neuen Arbeitsplatz im Büro, ist er ein gleichberechtigter, positiver und fester Bestandteil unseres Teams. Zudem macht es Herr Bahr allen durch seine Art leicht, da er für sich keine Sonderbehandlung einfordert, einen guten Humor besitzt und nicht jedes Wort auf die Goldwaage legt. Denn im Wording im Alltag gibt es doch das ein oder andere Fettnäpfchen. Es mussten sich nur alle an die vielen automatisierten Türen gewöhnen (lacht).

Faktor A:

Was läuft gut, was noch nicht so gut? Was könnte noch verbessert werden?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Unsere neuen automatisierten Türen haben hin und wieder ein gewisses Eigenleben und funktionieren nicht immer, wie wir uns das vorstellen (lacht).

Faktor A:

Welche besonderen Kompetenzen hat er (ggf. dazugewonnen)?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Zahlreiche, da er von einem gewerblichen auf einen kaufmännischen Arbeitsplatz gewechselt ist. Besonders wertvoll ist aber, dass er seine Erfahrungen und die Perspektive aus dem Lager im Büro hervorragend einbringen kann. Er ist damit ein gutes Bindeglied zwischen unseren Mitarbeitenden im Umschlaglager und seinem Fernverkehrsteam im Büro.

Faktor A:

Mit welchen Kosten waren die Integrationsmaßnahmen verbunden?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Ein niedriger sechsstelliger Betrag.

Faktor A:

Das klingt viel! Inwiefern haben Sie hier Beratung und finanzielle Hilfe erhalten?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Wir haben eine sehr gute Unterstützung von der Agentur für Arbeit Neumünster, der lokalen Reha- /Schwerbehinderten-Beratung und vom Technischen Beratungsdienst der Agentur Kiel erhalten. Marion Winger und Frederic Möß waren sehr engagiert. Sie haben uns im gesamten Prozess unterstützt – und, wo nötig, auch an die Hand genommen. Sei es beim Ausfüllen der notwendigen Formulare und Anträge oder auch die gelegentlich notwendige Beschleunigung von Vorgängen. Selbstverständlich waren sie auch bei uns vor Ort im Logistikzentrum und haben mit allen Beteiligten gesprochen. So konnten sie die Situation und notwendigen Schritte für einen behindertengerechten, barrierefreien Arbeitsplatz analysieren und beurteilen. Wir haben uns dann um die Angebotsakquise für die Umbauten und deren Umsetzung gekümmert (u. a. Behinderten-WC, elektronische Türöffner, Rollstuhlaußenlift).

Faktor A:

Viele Arbeitgeber scheuen sicher diesen Schritt, den Aufwand, die Kosten usw. Warum sollten es noch mehr Betriebe wagen, Menschen mit Behinderung eine zu Chance geben?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Natürlich ist es immer eine Einzelfallbetrachtung, bei der es auf die Qualifikation und Einstellung des Bewerbenden oder betreffenden Mitarbeitenden ankommt. Wir können sagen, dass Herr Bahr ein geschätzter Kollege ist, den wir aufgrund seines Engagements, seiner Leistung und Loyalität im Unternehmen halten wollten.

Faktor A:

Welche Vorteile und Potenziale sehen Sie?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Wir sind überzeugt, dass es eine betrieblich sinnvolle Maßnahme ist, auch Menschen mit Behinderung eine Chance zu geben. Zumal der Großteil der Kosten von der Agentur für Arbeit übernommen wird. Bei einem derart umfangreichen Investitionsvolumen ist dies ein erheblicher und wichtiger Faktor für das betroffene Unternehmen.

Faktor A:

Welche Schwierigkeiten und Hürden gab es? Was war die größte?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Insgesamt haben uns die beteiligten Stellen und Fachdienste gut und schnell betreut. Nur im Umgang mit einigen Gewerken und Handwerksbetrieben, die die Umbaumaßnahmen durchführten, haben wir etwas Geduld aufbringen müssen.

Faktor A:

Wie lange hat das alles gedauert?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Vom gemeinsamen Kickoff-Meeting bis zur Arbeitsaufnahme von Herrn Bahr haben wir sieben Monate gebraucht. Damit blieben wir aber in unserem selbst gesteckten Zeitplan.

Faktor A:

Was sollten Arbeitgeber beachten?

Jan-Ferdinand Lühmann:

Wichtig ist ein persönliches Kennenlernen mit allen Beteiligten im Betrieb, bei dem ein verbindlicher Fahrplan mit einem klaren Zieldatum der Arbeitsaufnahme erarbeitet wird. Ab dann muss man dranbleiben, sich kümmern und regelmäßig mit der Arbeitsagentur abstimmen. Es ist wichtig, im Betrieb jemanden zu bestimmen, der sich um die Koordination des Umbaus kümmert. Genauso jemanden, der sich um alles Bürokratische kümmert.

Faktor A:

Ihnen allen ganz herzlichen Dank für Ihre Offenheit!

Es liegen keine Informationen zur Förderung vor.

ICF-Items

Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

  • EFL - Gehen
  • EFL - Schweregrad der Arbeit (Last/Herzfrequenz)
  • EFL - Stehen (längeres/vorgeneigt/Rotation)
  • ELA - Gehen
  • ELA - Reichen
  • ELA - Stehen
  • ERGOS - aktuelle tägliche Dauerleistungsfähigkeit (Last/Herzfrequenz)
  • ERGOS - Laufen (Gehen)
  • ERGOS - Reichen
  • ERGOS - Stehen
  • IMBA - Arbeitszeit
  • IMBA - Armbewegungen
  • IMBA - Gehen/Steigen
  • IMBA - physische Ausdauer (Last/Herz-Lungensystem)
  • IMBA - Stehen

Referenznummer:

PB/111263


Informationsstand: 17.06.2024