Urteil
Krankenversicherung - Kostenübernahme für eine behindertengerechte Ausstattung eines Kraftfahrzeugs

Gericht:

LSG Darmstadt 1. Senat


Aktenzeichen:

L 1 KR 5/04


Urteil vom:

07.07.2005


Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 10. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten für die behindertengerechte Ausstattung (Einbau eines orthopädischen Pkw-Sitzes, eines automatischen Getriebes und eines Tempomats) seines Kraftfahrzeuges Mercedes AQ. Vaneo in Höhe von insgesamt 4.481,51 Euro.

Der 1940 geborene Kläger ist geh- und stehbehindert durch das Vorliegen eines degenerativen Wirbelsäulensyndroms, einer Ankylose (Versteifung) der rechten Hüfte, dem Zustand nach Osteomyelitis und einer Coxarthrose links. Der Kläger ist ehemaliger Lehrer und inzwischen in den Ruhestand versetzt. Von der Beklagten, bei der er freiwillig versichert ist, ist er mit einem Arthrodesenstuhl, orthopädischen Schuhen, einem Toilettensitz und einer An- und Ausziehhilfe versorgt worden.

Im März 2003 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine behindertengerechte Umrüstung des von ihm schon angeschafften Mercedes AQ. Vaneo und machte geltend, auf diesem Wege könnten seine Mobilität und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben weiterhin ermöglicht werden. Der Kläger legte dazu einen Kostenvoranschlag der Rehagruppe, eine ärztliche Stellungnahme seiner behandelnden Ärzte Dr. J. P. und Dr. Z. P. vom 6. März 2003, eine Bescheinigung des Arbeitskreises für Musik e. V. vom 18. März 2003 über die Mitgliedschaft des Klägers im B. H. Festpielchor und im Opernchor der H. Stiftsruine sowie eine Bescheinigung der Evangelischen Kirchengemeinde A-Stadt vom 18. Februar 2003 über die Mitgliedschaft im Kirchenchor als ehrenamtliche Tätigkeit vor.

Die Beklagte verwies den Kläger an den Sozialhilfeträger. Mit Bescheid vom 7. April 2003 teilte der Landeswohlfahrtsverband Hessen dem Kläger mit, das Integrationsamt könne dem Kläger keine Leistungen gewähren, da Voraussetzung dafür sei, dass dieser zum Zeitpunkt der Antragstellung noch im Arbeitsleben stehe bzw. einen konkreten Arbeitsplatz in Aussicht habe. Der Kläger sei bereits in den Ruhestand versetzt und gehöre damit nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis, für den Leistungen im Rahmen der begleitenden Hilfe nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) vorgesehen seien.

Der Kläger wandte sich daraufhin wegen der Kostenbeteiligung wiederum an die Beklagte, die den Antrag mit Bescheid vom 23. Mai 2003 ablehnte. Die Krankenversicherung sei nicht für die Versorgung mit Hilfsmitteln zuständig, die Folgen der Behinderungen in besonderen Lebensbereichen ausgleichen sollten und nicht zur Realisierung von elementaren Grundbedürfnissen erforderlich seien. Die von dem Kläger gewünschte Umrüstung des Fahrzeuges sowie der Einbau eines orthopädischen Sitzes würden nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fallen.

Den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2003 zurück. Sie habe den Kläger u. a. mit einem Arthrodesenstuhl und orthopädischen Schuhen versorgt und damit einen Basisausgleich der Behinderung für den Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung erreicht. Das Autofahren sei der sozialen Eingliederung Behinderter zuzuordnen, für die andere Sozialleistungsträger zuständig seien.

Der Kläger hat am 8. Oktober 2003 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben und geltend gemacht, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien als Hilfsmittel im Sinne der §§ 182 b Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) Mittel, die nur mittelbar oder teilweise die Organfunktionen eines Behinderten betreffen, dann als Hilfsmittel im Sinne der Krankenversicherung anzusehen, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf, Gesellschaft, Freizeit) betreffen, sondern im gesamten täglichen Leben (allgemein) beseitigen oder mildern und damit ein "Grundbedürfnis des täglichen Lebens" beträfen. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen gehöre auch die Gewährung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums sowie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dieses Grundbedürfnis könne er nur befriedigen, wenn ihm ein behindertengerecht umgebautes Fahrzeug zur Verfügung stehe; ohne den behindertengerechten Umbau könne er überhaupt nicht Auto fahren. Er habe immer ein behindertengerecht umgebautes Fahrzeug gefahren, wobei die Kosten für den Umbau von dem Landeswohlfahrtsverband getragen worden seien. Dieses alte Auto, das nunmehr über 20 Jahre alt sei, sei indes nicht mehr fahrtauglich. Ohne ein neues behindertengerecht umgebautes Fahrzeug wäre er nicht mehr in der Lage, sich selbständig mehr als 50 m von seinem Wohnhaus zu entfernen und somit sowohl bei der Teilnahme am gesellschaftlichen und öffentlichen Leben als auch bei den Alltagsgeschäften auf fremde Hilfe angewiesen.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 10. Dezember 2003 die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der die Kammer folge, sei ein Anspruch des Klägers gegenüber seiner Krankenkasse nicht begründet, da die streitige Umrüstung eines Kraftfahrzeuges nach § 12 SGB V kein erforderliches, notwendiges Mittel im Sinne des § 33 SGB V sei.

Gegen den ihm am 17. Dezember 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12. Januar 2004 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in B-Stadt eingelegt. Er trägt vor, zwischenzeitlich sei die behindertengerechte Umrüstung seines Kfz erfolgt, da diese unumgänglich sei und keinen weiteren Aufschub geduldet habe. Die Beklagte sei zur Erstattung dieser Kosten verpflichtet. Das Sozialgericht habe eine solche Verpflichtung zu Unrecht abgelehnt. Zu kritisieren sei an der erstinstanzlichen Entscheidung insbesondere, dass diese nicht individuell auf seinen Fall bezogen sei, sondern nur "kollektiv" die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wiedergebe. Den " Ab- und Ausgrenzungskriterien" in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die Beschränkung der Hilfsmittelversorgung auf die Befriedigung von "Grundbedürfnissen" könne nicht gefolgt werden. Nicht nachvollziehbar sei zum Beispiel, dass das Bundessozialgericht zwar das selbständige Fahren mit einem Elektrorollstuhl im Rahmen der Hilfsmittelversorgung fördere, indessen das eigenständige Führen eines Kfz nicht als ein Grundbedürfnis im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung anerkenne, obgleich die behindertengerechte Ausrüstung eines Kfz im Ergebnis wirtschaftlicher und kostengünstiger sein könne als die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl. Hinsichtlich seiner eigenen Bewegungsfreiheit im Nahbereich - die auch von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als ein Grundbedürfnis anerkannt sei - sei festzustellen, dass er hochgradig steh- und gehbehindert sei, aber nicht mit Hilfsmitteln im Bereich der Mobilität von der Beklagten bisher versorgt sei. Diese habe ihm einen Arthrodesenstuhl, d. h. ein Hilfsmittel für die Wohnung, sowie orthopädische Schuhe bewilligt. Die Schuhe hätten zwar eine Stützfunktion für den ganzen Körper, versetzten einen mobilitätseingeschränkten Körperbehinderten aber nicht in die Lage, größere Wegstrecken zurückzulegen, um z. B. Alltagsgeschäften wie dem Einkaufen nachzugehen. Einen Rollstuhl - mit dem die Versicherten in den von dem Bundessozialgericht entschiedenen Fällen versorgt waren - besitze er nicht.
Nach seiner Auffassung sei es indes auch den Körperbehinderten ganz individuell zu überlassen, wie sie ihre Mobilität herstellen und aufrecht erhielten, d. h. ob mit einem umgerüsteten Fahrrad, einem Dreirad, einem Rollstuhl oder mit einem behindertengerecht umgebauten Kfz bei vorhandenem Führerscheinbesitz; sinnvoll wäre nur die Bestimmung einer finanziellen Grenze. Wegen seiner Lebensverhältnisse sei für ihn ein umgebautes Fahrzeug die einzig sinnvolle Versorgung. Er wohne seit Jahrzehnten außerhalb des Stadtkerns und müsse mindestens 2 km bis zum nächsten Einkaufszentrum zurücklegen; das gelte auch für Arztbesuche. Ohne ein behindertengerecht umgebautes Kfz könne er nicht selbständig leben und müsse für jeden Arztbesuch und Einkauf einen Fahrer beschäftigen oder ein Taxi bezahlen. Im Gesetz (SGB V und SGB IX) finde sich an keiner Stelle ein Hinweis darauf, dass die behindertengerechte Umrüstung eines Kfz zur Erlangung oder Aufrechterhaltung der Mobilität als Hilfsmittel auszuschließen sei; der Gesetzgeber habe auch keine Abgrenzung hinsichtlich der Versorgung von Kindern und Jugendlichen und der älteren und nicht mehr berufstätigen Generation getroffen. Die entsprechende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die eine solche Unterscheidung treffe, sei daher gesetzeswidrig. Die Rechtsprechung sei darüber hinaus verfassungswidrig, da sie die mobilitätsseingeschränkten körperbehinderten Menschen der älteren Generation diskriminiere. Um Gerechtigkeit in seinem individuellen Einzelfall zu finden, sei die Einholung eines gerichtlichen medizinisch-technischen Gutachtens erforderlich, wobei im technischen Teil das Altfahrzeug und das bereits behindertengerecht umgerüstete Neufahrzeug gegenübergestellt werden müssten, um die Notwendigkeit der Versorgung festzustellen. Der Kläger hat dazu Gutachter benannt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 10. Dezember 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Mai 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2003 zu verurteilen, ihm die Kosten für den behindertengerechten Umbau seines Kfz Mercedes AQ. Vaneo (Einbau eines automatischen Getriebes und eines Tempomats sowie eines orthopädischen PKW-Sitzes Typ Recaro LTW) gemäß Rechnung der Reha-Gruppe vom 26. Februar 2004 und gemäß Rechnung der Firma Mercedes AQ. vom 18. Februar 2003 in Höhe von insgesamt 4.481,51 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid für zutreffend und weist darauf hin, dass der Kläger bei einem entsprechenden Antrag mit einem Rollstuhl aus Lagerbeständen versorgt werden könnte, was erheblich kostengünstiger als die beantragte behindertengerechte Ausstattung des Kfz wäre.

Zum Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die zum Verfahren beigezogen worden sind.

Rechtsweg:

SG Kassel Urteil vom 10.12.2003 - S 12 KR 2037/03
BSG Urteil vom 18.11.2005 - B 3 KR 40/05 B

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel ist zu Recht ergangen.

Das ursprünglich auf Sachleistung ausgerichtete Begehren des Klägers ist nunmehr in einen Anspruch auf Kostenerstattung umgewandelt, da der Kläger die geltend gemachte Umrüstung seines Kfz Anfang des Jahres 2004 hat vornehmen lassen. Maßgeblich für den Kostenerstattungsanspruch ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der Umrüstung. Rechtsgrundlage ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in der Fassung durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 (BGBl. I, S. 2189), das am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist. Nach dieser Vorschrift ist die Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet, sofern sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war. Eine entsprechende Regelung enthält § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB IX. Die Voraussetzungen beider Vorschriften sind vorliegend nicht erfüllt, da die allein in Betracht kommende Alternative "zu Unrecht abgelehnte Leistung" hier nicht gegeben ist. Wie das Sozialgericht Kassel in dem angefochtenen Gerichtsbescheid zu Recht erkannt hat, bestand kein Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten auf Versorgung mit der von ihm geltend gemachten behindertengerechten Ausstattung seines Kfz. Den geltend gemachten Maßnahmen kommt im konkreten Fall nicht die Eigenschaft eines Hilfsmittels im Sinne von § 33 SGB V zu.
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der Fassung ab 1. Januar 2004 (s. o.), sieht für Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken (orthopädischen und anderen Hilfsmitteln) vor, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Zudem müssen die Leistungen nach § 33 SGB V wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V).

Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Alternative des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V "Ausgleich einer Behinderung" liegen nicht vor. Gegenstand des Behinderungsausgleichs sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktionen dienen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts werden darüber hinaus auch solche Hilfen erfasst, die die direkten und indirekten Folgen der Behinderung ausgleichen; diese Hilfen müssen dann aber die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigen oder mildern und damit ein "Grundbedürfnis" des täglichen Lebens betreffen (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 16. September 2004 - B 3 KR 15/04 R, Die Leistungen Beilage 2005, 16, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des 3. und 8. Senats des BSG). Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören dabei - so das Bundessozialgericht - das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, (elementare) Körperpflege, selbständiges Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums.
Richtig ist das Vorbringen des Klägers, dass der Wortlaut des § 33 SGB V selbst eine Differenzierung nach "Grundbedürfnissen" nicht enthält. Der Senat hält diese Differenzierung bzw. Auslegung der Vorschrift durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts indes für zutreffend, da diese sich nach dem Zweck des Behinderungsausgleichs und vor allem auch nach der Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ausrichtet. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Gewährleistung der medizinischen Rehabilitation. Sie ist zuständig für Maßnahmen, die bei der medizinischen Bekämpfung der Krankheit oder der Behinderung selbst ansetzen, nicht aber bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder privatem Gebiet; für derartige Bedürfnisse, die über die Befriedigung der genannten Grundbedürfnisse hinausgehen, sind ggf. andere Sozialleistungsträger zuständig.

In Kenntnis der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Bereich der Hilfsmittelversorgung hat der Gesetzgeber nunmehr in der zum 1. Juli 2001 neu in Kraft gesetzten Vorschrift § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX ausdrücklich die Hilfsmittelversorgung im Rahmen des Behinderungsausgleichs auf die "Befriedigung von Grundbedürfnissen" beschränkt und den Hilfsmittelbegriff nunmehr für alle Träger von Leistungen der medizinischen Rehabilitation einheitlich definiert. Selbst wenn der Vorrang abweichender Regelungen für den einzelnen Rehabilitationsträger weiterhin besteht (§ 7 SGB IX), kann aus der insoweit unberührt gebliebenen Fassung des § 33 SGB V nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe nunmehr den Behinderungsausgleich durch die gesetzliche Krankenversicherung über die bisherige Rechtsprechung hinaus ausweiten wollen ( BSG, Urteil vom 16. September 2004, a.a.O.; Urteil vom 26. März 2003 - B 3 KR 23/02 R -, NZS 2003, 660).

Die behindertengerechte Ausstattung des Kfz des Klägers ist kein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 3. Alt. SGB V, da der Kläger diese nicht zur Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens benötigt. Das hier in Betracht kommende Grundbedürfnis "Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums" ist im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst auf die Entfernungen beschränkt, die ein Gesunder zu Fuß zurücklegt oder um die - üblicherweise - im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG, Urteil vom 16. September 2004, a.a.O.). Dazu gehört somit nicht das von dem Kläger in den Vordergrund gestellte Bedürfnis, seinen Ehrenämtern und Freizeitbeschäftigungen auch außerhalb seines Wohnortes nachgehen zu können. Für die Erschließung des Nahbereiches ist er aber auf die Benutzung eines Kfz bzw. auf die behindertengerechte Ausstattung seines Kfz nicht angewiesen. In seiner Berufungsbegründung hat der Kläger hervorgehoben, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts könne in seinem Fall keine Anwendung finden, da er selbst im Gegensatz zu den Klägern, über deren Begehren höchstrichterliche Entscheidungen vorlägen, nicht über einen Rollstuhl verfüge. In den bisher höchstrichterlich entschiedenen Fällen zum Umfang der Hilfsmittelversorgung handelte es sich indes jeweils um Kläger, die weder stehen noch gehen konnten und auf den ständigen Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen waren. Teilweise war den Betreffenden selbst die eigenständige Benutzung eines zur Verfügung gestellten Rollstuhls mit Elektromotor nicht möglich. Der Kläger ist nach der von ihm im Verfahren vorgelegten sozialmedizinischen Stellungnahme durch Dr. v. F. vom 27. Juli 1999 insbesondere durch Funktionseinschränkungen des rechten Beines erheblich gehbehindert. Ihm ist daher der Nachteilsausgleich "G" zuerkannt worden und damit der Anspruch auf eine unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr (vgl. §§ 145 ff. SGB IX). Die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG", d. h. eine außergewöhnliche Gehbehinderung, lassen sich nach den Ausführungen der Ärztin nicht feststellen. Auch nach seinem eigenen Vortrag ist der Kläger in der Lage, mittels der ihm von der Beklagten bewilligten orthopädischen Schuhe und unter Zuhilfenahme eines Stocks Wege zu Fuß zurückzulegen. So kann er vom Parkplatz aus einen Einkaufsmarkt zu Fuß besuchen, mittels eines Einkaufswagens die Einkäufe in dem Markt erledigen und anschließend in seinen Pkw verladen; auch Treppensteigen ist dem Kläger möglich. An der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist er auf Grund seiner körperlichen Konstitution nicht gehindert. Unberücksichtigt muss in diesem Zusammenhang bleiben, dass der Kläger im ländlichen Bereich lebt und nach seinen Angaben an seinem Wohnort Busse nicht verkehren. Die Besonderheiten des Wohnortes können für die Hilfsmitteleigenschaft nicht maßgeblich sein. Insoweit handelt es sich nicht um Erfordernisse des allein zu berücksichtigenden Bedarfs auf Grund von Funktionseinschränkungen. Dies gilt selbst dann, wenn im Einzelfall die Stellen der Alltagsgeschäfte (Einkaufsmärkte, Ärzte, Therapeuten) nicht im Nahbereich der Wohnung liegen, also dafür längere Strecken zurückzulegen sind, die die Kräfte des Behinderten - auch bei Mobilitätshilfen - möglicherweise übersteigen (BSG, Urteil vom 16. September 1999 - B 3 KR 8/98 R - , NZS 2000, 296).

Selbst wenn Mobilitätshilfen für die ausreichende Bewegungsfreiheit des Klägers im Nahbereich erforderlich wären, so hat der Kläger gemäß § 12 SGB V unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf die geltend gemachte behindertengerechte Ausstattung seines Kfz und damit die Ermöglichung des eigenständigen Führens eines Kfz. Nach ihrem Vortrag in der mündlichen Verhandlung würde die Beklagte den Kläger bei entsprechender Antragstellung mit einem Rollstuhl versorgen. Angesichts der noch vorhandenen körperlichen Fähigkeiten des Klägers - es liegen keine Funktionseinschränkungen der Arme und Hände sowie des Schulterbereichs vor - ist die Versorgung mit einem handbetriebenen Rollstuhl bzw. mit einem Standard-Rollstuhl mit Schubhilfe denkbar. Derartige Hilfsmittel sind in jedem Fall kostengünstiger als die von dem Kläger begehrte Umrüstung des Kfz; je nach dem, ob die Versorgung aus Lagerbeständen erfolgt oder ein neuwertiges Hilfsmittel beschafft werden muss, fallen nach dem Vortrag der Beklagten Kosten in Höhe von 75, 00 EUR (mit Schubhilfe 208,80 EUR) bis 530,00 EUR an. Auch ein E-Fahrer würde nach dem Vortrag der Beklagten eingelagert nur 180,00 EUR kosten.

Der Kläger gehört gerade nicht zu dem Personenkreis, bei dem das Erschließen eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus erforderlich ist, weil zusätzliche qualitative Momente vorliegen. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dann der Fall, wenn die Notwendigkeit medizinischer Intensivbehandlung besteht (dies ist hier weder vorgetragen noch ersichtlich), bei Kindern und Jugendlichen der Integrationsprozess gefördert werden muss (vgl. BSG, Urteil vom 16. September 1999, a.a.O.) oder eine außergewöhnlich schwere Behinderung vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1990 - 3/8 RK 16/87 - zu dem Fall einer kompletten Querschnittslähmung mit der Folge eines vollständigen Ausfalls der motorischen Funktion aller vier Gliedmaßen des Rumpfes, der Hautsensibilität in den gelähmten Körperpartien, der willkürlichen Steuerung der Blasen- und Mastdarmtätigkeit sowie aller Muskelgruppen unterhalb des Halsbereiches mit Ausnahme des Zwerchfelles). Der Senat hält die Differenzierung durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch insoweit für zutreffend, als diese - wie es § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausdrücklich verlangt - auf die Erforderlichkeit "im Einzelfall" abstellt.

Die von dem Kläger beanstandete Begrenzung der Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung im Hilfsmittelbereich verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG). Aus dieser Verfassungsnorm ergeben sich keine weitergehenden Leistungsansprüche bei der Hilfsmittelversorgung (BSG, Urteile vom 16. September 2004 und vom 26. März 2003, jeweils a.a.O.). Zwar ist das Verbot einer Benachteiligung zugleich mit einem objektiv-rechtlichen Auftrag an den Staat verbunden, auf die gleichberechtigte Teilnahme behinderter Menschen hinzuwirken; dieser auch nach Inkrafttreten des SGB IX fortbestehende Auftrag zur Ausgestaltung des Sozialstaatsgebots begründet indes keine konkreten Leistungsansprüche und damit kein einklagbares subjektives Recht des Einzelnen auf eine bestimmte Hilfsmittelversorgung. Durch die Verfassungsnorm sollen der staatlichen Gewalt insoweit engere Grenzen vorgegeben werden, als die Behinderung zum einen nicht zum Anknüpfungspunkt für eine benachteiligende Ungleichbehandlung dienen darf; zum anderen soll durch die öffentliche Gewalt kein Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten gegeben sein (BSG, Urteil vom 16. September 2004, a.a.O.). Der Kläger wird aber nicht durch die öffentliche Gewalt, sondern allein durch seine Behinderungen von bestimmten Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten ausgeschlossen, die eine gesunde Person hat.

Da im konkreten Fall des Klägers die behindertengerechte Umrüstung seines Kfz nicht Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V ist, brauchte das Gericht der Beweisanregung des Klägers zur Einholung eines medizinischen technischen Gutachtens nicht nachzugehen, was dann in Betracht gekommen wäre, wenn die Umrüstung als Hilfsmittel anzuerkennen gewesen wäre und die Frage relevant geworden wäre, ob der Kläger auf seinen alten - umgerüsteten - PKW aus wirtschaftlichen Gründen zu verweisen gewesen wäre (vgl. § 31 Abs. 2 SGB IX).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 nicht vorgelegen haben.

Referenznummer:

R/R2405


Informationsstand: 02.03.2006